Erziehung oder Ausbildung?
Niemand muß einem Hund beibringen, sich zu setzen oder zu legen. Auch das Gehen und Rennen lernen Hunde in aller Regel vollkommen ohne Engagement des Menschen. Warum also erzählen Leute immer wieder, sie würden ihrem Hund „Sitz“ oder „Platz“ beibringen – wo es doch so offensichtlich die Unwahrheit ist?
In der Realität bringt man dem Hund nicht das Sitzen bei, sondern man bringt ihm bei, sich auf ein bestimmtes Signal hin zu setzen und – in der besten aller Welten – solange sitzenzubleiben, bis man ihm ein anderes Signal gibt. Noch realistischer betrachtet, lernt man als Hundehalter, wie man seinen Hund dazu bewegt, sich hinzusetzen. Es lernen also Hund und Halter gemeinsam, sich auf ein Signal für das Hinsetzen zu einigen.
Diesen Vorgang nennt man Ausbildung. In früheren Zeiten sprachen Hundeausbilder häufig von Dressur oder dem Abrichten. Treffe ich auf einen Ausbilder, der heute noch vom Abrichten spricht, gehe ich davon aus, das seine Kenntnisse – und wahrscheinlich auch seine Methoden – aus den dunklen, längst vergangenen Zeiten der Hundeausbildung stammen.
Ausbildung ist also das Einüben einer möglichst starken Verknüpfung von Signal und Handlung. Es geht dabei nicht um Einsicht oder Verständnis des Hundes, sondern ausschließlich darum, daß er auf ein Signal mit einer bestimmten Handlung reagiert. Es ist absolut notwendig, bestimmte Signale auf diese Weise zu verknüpfen – nur ein Hund, der abrufbar ist, der ein Verhalten auf Kommando abbricht und der alles Gefundene ausgibt, kann ausreichend Gelegenheit zum Freilauf bekommen.
So nützlich es sein mag, wenn ein Hund sich „auf Kommando“ hinlegt und liegenbleibt, so überflüssig sind andere Verhaltensweisen, die auf gleiche Weise vermittelt werden, Dinge wie „spiel toter Hund“ oder „dreh dich“ beispielsweise. Allerdings finde ich nichts daran auszusetzen, wenn das Einüben solcher Kommandos spielerisch und freudig geschieht und dazu dient, die Bindung zu vertiefen.
Erziehung im Gegensatz dazu ist das Vermitteln von Verhaltensnormen und Grenzen, die ein erfreuliches Zusammenleben in dieser Gesellschaft ermöglichen. Hunde sind – wie Menschen auch – hochsoziale Lebewesen, die ein angeborenes Bedürfnis haben, die Regeln ihres Sozialverbandes zu erlernen, weil nur mit diesen Regeln der Sozialverband funktionieren kann. Dieses Lernen funktioniert vor allem im Zusammenleben und durch Vorleben. Der alte pädagogische Leitsatz „Erziehungsarbeit ist Beziehungsarbeit“ gilt also auch bei der Erziehung von Hunden. Und immer, wenn ein Hund unerwünschtes Verhalten zeigt, lohnt es sich, auch über die Beziehung zwischen Mensch und Hund nachzudenken.
Im Umkehrschluß haben Hunde, denen das Zusammenleben mit ihren Menschen verweigert wird, weil sie zum Beispiel in einem Zwinger leben müssen, keine Chance, die Feinheiten wünschenswerten Sozialverhaltens zu erlernen. Und je weniger Kontakt zu Sozialpartnern (Mensch oder Hund) sie bekommen, desto größer sind die Störungen, die sie davontragen können.
Warum ist der Unterschied wichtig?
Warum hacke ich darauf rum, das Erziehung und Ausbildung zwei verschiedene Dinge sind? Ganz viele Leute sind der Überzeugung, das wäre im Prinzip alles das Gleiche. Wenn wir Ausbildung allgemein als den Erwerb von Fertigkeiten bezeichnen und Erziehung als Erwerb von Sozialverhalten, wird der Unterschied vielleicht klarer. Wer jemals mehrere Hunde hatte oder beobachten konnte, stellt fest, daß neue Fertigkeiten (wie etwa ein besonders effektiver Mäuselsprung) durch Abschauen gelernt werden. Strafe für den Mißerfolg ist nur der Mißerfolg selber, viel wichtiger ist die Motivation, wenn Hund Erfolg hat. Ausbildung geschieht also über operante Konditionierung fast ausschließlich mit positiver Bestärkung.
Erziehung dagegen umfaßt zwei verschiedene Bereiche: das Verhalten innerhalb des Rudels (Sozialverbandes, Familie etc.) und das Verhalten des Rudels nach außen.
Wenn ich einen Choleriker treffe, der jedem Radfahrer hinterherpöbelt, dann hat der, wenn überhaupt, einen Hund, der das gleiche tut. Haben Hundehalter Angst vor Pferden, sehen ihre Hunde das oft ähnlich. Und umgekehrt, ist ein Hundehalter Fremden gegenüber freundlich und aufgeschlossen, gilt das oft auch für seinen Hund. Max Uthoff zitierte mal den unsterblichen Karl Valentin mit den Worten
„Wozu Erziehung? Die Kinder machen einem doch sowieso alles nach!“
Und genau das ist der eine Aspekt von Erziehung. Sie leben ihrem Hund vor, wie man sich anderen Menschen gegenüber verhält. Das Pferde nett sind, Radfahrer langweilig, andere Leute freundlich, all das kann Ihr Hund nur von Ihnen lernen. Wenn Sie das schon nicht hinkriegen, sich zu benehmen, warum sollte Ihr Hund es schaffen? Ähnlich ist es auch mit Absprachen wie „Wir bleiben an jeder Bordsteinkante stehen und schauen erst mal.“ oder „Wenn ich mich unterhalte, kannst Du Dich ruhig hinlegen und dösen. Quengeln hilft eh nix, weil nur ich entscheide, wann es weitergeht.“ Diese Dinge werden gelebt, oder sie funtionieren nicht wirklich (was nicht heissen soll, daß diese Dinge wichtig sind. Ich finde sie nur nützlich, mehr auch nicht.)
Vollkommen anders sieht es aus, wenn der Umgang miteinander geübt wird. In jedem Sozialverband, egal, ob Wolfsrudel oder Affen- oder menschliche Familie, immer gibt es Konflikte, die gelöst werden müssen. Ob nun jemand das Essen oder Spielzeug klaut, den besten Liegeplatz einnimmt oder rumnervt, weil er spielen will, wer von Übergriffen eines anderen Betroffen ist, droht und verspricht damit körperliche Sanktionen. Wenn die Drohung unbeachtet bleibt, wird der Verstoß körperlich sanktioniert. Zumindest innerhalb des Sozialverbandes werden diese Sanktionen immer abgebrochen, sowie der andere Unterwerfung signalisiert bzw. Respekt zeigt. Kurz und salopp formuliert, sagt man dem anderen „Das laß ich mir von Dir nicht gefallen.“ Und im relativ kurzer Zeit erlernen sich dadurch die Grenzen, die das einzelne Rudelmitglied für sich beansprucht.
Dies ist der andere Aspekt von Erziehung, und er ist mittlerweile sehr verpönt. Es gab in der Vergangenheit geradezu psychopathische Methoden, Hunde zu mißhandeln, und in einigen verkorksten Hirnen kursieren die immer noch.Aufgrund dessen entwickelte sich eine Gegenbewegung, die meiner Ansicht nach weit übers Ziel hinausgeschossen ist. Wenn mein Hund im Begriff ist, Essen vom Tisch zu klauen oder am Tischbein zu nagen, dann will ich ihm keine Alternativbeschäftigung vorschlagen und kein Alternativverhalten aufzeigen. Er ist alt genug. Er kann machen, was er will, aber eben nicht das, was er gerade tut.
Ich will aber weder dem abstrusen Alphawurf das Wort reden noch der Unterdrückung. Es geht nicht um Tierquälerei oder Mißhandlung. Im Gegenteil. Es geht um klare Verständigung ohne Rumgedruckse.
Wenn ich meinen Hund als Sozialpartner und Familienmitglied respektiere, versuche ich logischerweise nicht, ihn zu brechen oder zu unterdrücken. Ich habe auch keine Angst, „dominiert“ zu werden, und kann deshalb entspannt bleiben. Den gleichen Respekt, den ich meinem Hund entgegen bringe, fordere ich aber auch. Und wenn er versucht, mich von meinem Sofa wegzuschnappen, dann fliegt er halt achtkantig runter. Und kriegt Sofaverbot. Solange, bis mein Hund verstanden hat, daß es mein Sofa ist und ich ihn darauf dulden kann – wenn ich will. Schließlich bleib ich im Regelfall ja auch von seinem Kissen runter.
Der Unterschied sollte klargeworden sein: Ausbildung ist die Vermittlung von Fertigkeiten, überwiegend mit Belohnung. Erziehung ist die Vermittlung von Verhaltensnormen durch Vorleben und Verhaltensgrenzen durch Strafe.